Man kann sich kaum vorstellen, welch ein Druck auf einem Team lastet, in das so hohe Erwartungen gesetzt werden. Für Ubisoft Quebec kommt da momentan jedenfalls so einiges zusammen. So rauscht die Aktie von Ubisoft seit einigen Monaten nahezu ungebremst in den Keller. Der Release von "Star Wars Outlaws" sollte die wilde Fahrt nach unten eigentlich stoppen, tat aufgrund schwacher Anfangsverkäufe am Ende aber eher das Gegenteil - obwohl der Titel spielerisch sehr ordentlich performt und beispielsweise bei uns eine sehr gute Wertung von 85% einfahren konnte. Der Free2Play-Online-Shooter "XDefiant" schwächelt ebenfalls, und das vorzeitige Aus für Sonys "Concorde" hat die Branche schockiert und lässt für das Genre insgesamt nichts Gutes erwarten. Auch hier war keineswegs mangelnde Qualität die Ursache, sondern vor allem eine Übersättigung mit ähnlich gelagerten Games. Angesichts dieser unbequemen Lage muss man sich schon einiges einfallen lassen, um aus der Masse herauszustechen und das Publikum mit Mut zur Innovation oder zumindest einem spektakulären Look auf seine Seite zu ziehen. Zumindest was den zweiten Punkt betrifft, hat "Black Myth: Wukong" gerade vorgemacht, wie es geht. Denn rein spielerisch hat Entwickler Game Science das Rad auch nicht neu erfunden.
"Assassin's Creed Shadows" soll's nun richten. Dabei hatten es schon die letzten Teile der Reihe nicht gerade leicht. Der direkte "Shadows"-Vorgänger "Mirage", an den das voraussichtlich am 15. November 2024 für PlayStation 5, Xbox Series X/S und PC erscheinende Epos anknüpfen soll, erreichte nur einen Metascore von 76 Punkten. Irgendwie hat man den Eindruck, dass jedes "Assassin's Creed" an den Meilensteinen "Black Flag" (2013) und "Origins" (2017) gemessen wird und die Verantwortlichen das Problem haben, nicht immer noch mehr Spiel-Elemente integrieren und noch mehr Umfang liefern zu können. Soll die der Serie immanente Gigantomanie nicht immer weiter ins Leere laufen, muss man irgendwo wieder etwas abspecken, ohne dabei die Erwartungen allzu vieler Spieler zu enttäuschen. Ein Drahtseilakt, der fast unmöglich zu sein scheint.
Grosser Anspruch, hohe Erwartungen
Der neueste Teil, „Assassin's Creed Shadows“, spielt im mittelalterlichen Japan. Die Entwickler von Ubisoft Quebec haben dafür eine neue Version der Software-Engine namens "Anvil" (dt. Amboss) entwickelt, mit der man naturgetreuere Darstellungen auf den Bildschirm zaubern kann, als es bislang möglich war. Sonys fulminantes "Ghost of Tsushima" hat da zuletzt Massstäbe gesetzt, an denen sich die "Assassin's Creed"-Macher messen lassen müssen. Die auf der gamescom präsentierten Szenen zeigen Wiesen, durch die der Wind streift und dabei jeden einzelnen Grashalm individuell zu bewegen scheint, sanft vom Wind gestreichelte oder von Stürmen gebeugte Baumwipfel oder Platzregen und Schneegestöber in fotorealistischer Darstellung. Ausserdem, so erklärte der künstlerische Leiter Thierry Dansereau bei der Präsentation in Köln, sollen all diese Elemente direkten Einfluss auf Steuerung und Spielgeschehen haben. Doch dazu später mehr. Zunächst muss man an dieser Stelle konstatieren, dass es vermutlich noch nie eine derart fantastische Darstellung von Landschaft in Videogames gegeben hat wie diejenige, die Dansereau in Köln vorgeführt hat. Natürlich wird man am Ende sehen müssen, wie gut das alles mit handelnden - und steuerbaren - Charakteren funktioniert. Die richtige Basis scheint allerdings gelegt zu sein.
Vorbild der Gamedesigner sind tatsächlich oft alte Meister wie Pieter Bruegel der Ältere. Die naturgetreue Nachbildung der sichtbaren Welt, wie sie sich ab dem 15. Jahrhundert entwickelt hat, ist auch beim Gamedesign ein Ideal. Im Gegensatz zu unbewegten Bildern oder Filmen muss die in Spielen dargestellte Natur im Digitalen erfahrbar gemacht werden. Die Spieler sollen sie nicht nur ansehen, sondern sich durch sie hindurchbewegen können. Soll die sogenannte Immersion glaubwürdig sein, ist die dargestellte Szenerie dem wechselnden Einfluss von Perspektive, Licht, Witterung und Jahreszeiten unterworfen. Bei "Assassin's Creed" kommt noch eine akribische Nachbildung der jeweiligen Epoche hinzu, in der man sich als Spieler weitgehend frei bewegen kann - eine künstlerische Herausforderung, die man auf keinen Fall unterschätzen sollte, auch wenn es bei Games natürlich letzten Endes immer um Gameplay und Missionsdesign geht.