Anti-Sissi in Mexiko
"Eine junge Königstochter, schön, intelligent, energisch, mit wachem politischen Verstand, die sich zu Höherem berufen fühlte, als eine Prinzessin zu sein, deren wichtigste Aufgabe darin bestand, für den Fortbestand der Dynastie zu sorgen, artig Konversation zu machen und hübsch auszusehen." So beschreibt ihre Biografin Erika Bestenreiner ihre Protagonistin Charlotte von Belgien. Ihre Verbindung mit dem Erzherzog von Österreich, dem späteren Kaiser Maximilian von Mexiko, war eine Liebesheirat, zumindest von ihrer Seite. Als Ratgeberin ihres untreuen, seiner Verantwortung nicht annähernd gewachsenen Gemahls macht sie sich daran, "Verantwortung zu übernehmen, tätig zu sein, ein rückständiges, von Revolutionen erschüttertes Land zu modernisieren, einem geknechteten Volk ein besseres Leben mit einer gerechten, liberalen Regierung zu ermöglichen".
Die auf dem Leben Charlottes basierende Graphic Novel von Fabien Nury (Szenario) und Matthieu Bonhomme (Zeichnungen) erzählt ihre Geschichte in magischen, fast traumhaften Bildern. Das virtuose Spiel mit Licht und Perspektive schafft eine Atmosphäre, die einen Seite für Seite gefangen nimmt. Was anfangs wie eine Parallelerzählung zu den verkitschten Legenden wirkt, die sich um Charlottes Schwägerin Elisabeth von Österreich-Ungarn, genannt "Sissi", ranken, nimmt schnell eine tragische Wendung. Eine ehrgeizige Frau wie Charlotte war doch letzten Endes den in ihrer Zeit geltenden Geschlechtergrenzen unterworfen. Charlotte und Maximilian stemmen sich gegen ihr unvermeidlich scheinendes Schicksal und werden doch zum Spielball höherer Mächte.
Ein Frauenschicksal, das einen immer wieder Parallelen zu heute ziehen lässt, wo Frauen trotz aller emanzipatorischen Fortschritte noch immer Mühe haben, ihren Platz in einer von Männern dominierten Gesellschaft zu behaupten.
Fabien Nury, Matthieu Bonhomme: Kaiserin Charlotte (Carlsen Comics)