Wie fügt sich "The Acolyte" in den zunehmend unübersichtlichen "Star Wars"-Output ein? Wir haben uns die ersten vier Folgen angeschaut und uns mit der Schöpferin Leslye Headland sowie dem Darsteller Manny Jacinto unterhalten.
"'Star Wars'? Da hab ich längst den Überblick verloren!" Statements dieser Art hört man immer wieder im persönlichen Umfeld. Ob man nun im Zeitalter der Original-, der Prequel- oder der Sequel-Trilogie sozialisiert wurde: Im "Expanded Universe" hat sich schon so mancher verlaufen, und man muss ein echt beinharter Fan sein, um jede Serienepisode und jedes Einzelereignis chronologisch auf Anhieb (und ohne eine Timeline zurate zu ziehen) zielsicher einordnen zu können. Und dann ist da ja noch die vielen Kinogängern und Serien-Maniacs weitgehend verborgene Welt der Games, Comics und Romane. Ihnen war bislang die Ära der Hohen Republik vorbehalten, sozusagen ein Prequel-Playground, der längst seine eigenen Mythen herausgebildet hat. "The Acolyte" nimmt insofern eine Sonderstellung ein, da die neue Serie bei Disney+ genau in dieser Ära spielt - einem Zeitalter, in dem die Jedi über den Frieden zwischen den Völkern der Galaxis wachen. Das heisst aber natürlich keineswegs, dass es keine Konflikte geben würde.
Wir befinden uns etwa 68 Jahre vor "Die dunkle Bedrohung", also rund 100 Jahre vor dem "Krieg der Sterne", wie er im allerersten Kinofilm im Jahr 1977 beschrieben wurde. Die Kriege der Zukunft liegen noch in weiter Ferne, werfen jedoch stellenweise schon ihre Schatten voraus. Als Wächter müssen die Jedi Massnahmen ergreifen, die nicht immer auf Gegenliebe in der Bevölkerung stossen. So obliegt es Jedi-Meister Sol (Lee Jung-jae, der mit dem südkoreanischen Netflix-Überflieger "Squid Game" international Aufsehen erregte und auch diesmal einen sehr guten Job macht), Jedi-Azubis zu rekrutieren. Diese undankbare Aufgabe führt ihn gleich zu Beginn zu einer matriarchalisch regierten Gemeinschaft von Hexen, die allerdings ganz andere Pläne mit ihrem Nachwuchs haben. Dass sein heikles Anliegen ein tödliches Familiendrama epischen Ausmasses verursachen wird, kann er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Was aber der Zuschauer schon zu diesem frühen Zeitpunkt ahnt: Unter Autorin und Regisseurin Leslye Headland kommt weiblichen Charakteren eine weitaus grössere Rolle zu, als man es bisher von "Star Wars" gewohnt war.
Mit Agatha Christie durch die Galaxie
Selten war es so schwer, den Handlungsverlauf ohne Spoiler zu umreissen, wie bei "The Acolyte". Daher beschränken wir uns hier weitestgehend auf das, was ohnehin schon bekannt ist. Im Zentrum der Geschichte steht Amandla Stenberg in einer Doppelrolle als Sith-Akolytin Mae und ehemalige Jedi-Padawan Osha. Letztere ist mit ihrem Meister den Morden an mehreren Jedi auf der Spur. Diese Mischung aus Detektivgeschichte à la Agatha Christie - wobei man Osha natürlich kaum mit Miss Marple verwechseln dürfte - und den bekannten "Star Wars"-Trademarks tut "The Acolyte" ausgesprochen gut. Mag mancher sich für die neue Serie eine etwas düsterere Tonlage gewünscht haben, funktioniert der Kontrast zwischen spannenden Handlungsbögen, Rückblenden und einem bisweilen recht handfesten Humor sehr gut. Dass Leslye Headland auch Mitschöpferin der wunderbar schrägen Netflix-Serie "Russian Doll" (dt. "Matrjoschka", ab 2019) ist, scheint stellenweise jedenfalls sehr deutlich durch - inklusive diverser Referenzen zu rauschauslösenden Substanzen.

Geistige Getränke, Drogen und eine gute Portion Schlitzohrigkeit bringt vor allem die Figur des Quimir ins Spiel. Der 38-jährige Philippiner Manny Jacinto stellt ihn als quirligen, nie um eine Ausrede verlegenen Gauner und Hehler dar, von dem anfangs nicht ganz klar ist, auf welcher Seite er eigentlich steht. Vielleicht könnte man sagen: Er steht immer auf der Seite, die ihm gerade am meisten nützt, solange er sich dafür nicht allzu sehr verbiegen muss. Diese moralische Doppelbödigkeit zeichnet viele der Charaktere in "The Acolyte" aus. Dazu gehört auch, dass die Strenge und die Prinzipientreue der Jedi nicht immer sympathisch und vorteilhaft ist, sondern teils als Verbohrtheit herüberkommen kann. Oder dass Hell und Dunkel nicht immer so paritätisch verteilt sind, wie man sich das gern vorstellen würde. In dieser Beziehung steht "The Acolyte" natürlich wieder in einer langen Tradition innerhalb des Franchises. Dass Gut und Böse nicht immer klar zu unterscheiden sind und sich manch strahlender Ritter irgendwann in einen düsteren Fiesling verwandelt, gehört ja praktisch zur "Star Wars"-DNA.
Martial Arts für eine neue Generation
Wir hatten anlässlich der Preview der ersten vier Folgen die Möglichkeit, Leslye Headland und Manny Jacinto ein paar Fragen zu stellen. Dass sich die Autorin auf die Frage nach ihren Vorbildern auf ein Videospiel beruft (siehe Interview weiter unten), ist angesichts des bereits veröffentlichten Materials nicht verwunderlich. Während die Protagonisten wie praktisch alle ihre Vorgänger unfassbar schlecht schiessen (vielleicht sollte irgendjemand mal die Blaster einer gründlichen Revision unterziehen), sind es vor allem die ausgeklügelten Martial-Arts-Choreographien, mit denen sich "The Acolyte" hervortut. Selten waren die Kämpfe und ikonischen Laserschwert-Scharmützel so ausufernd und dynamisch inszeniert. Und wohl noch nie war ein "Star Wars"-Werk so nahe am asiatischen Genrefilm. Aber auch aus der Animationsreihe "The Clone Wars", die zwischen "Episode II: Angriff der Klonkrieger" und "Episode III: Die Rache der Sith" angesiedelt ist, gibt es einige Anleihen.

Insofern ist es naheliegend, dass Leslye Headland im Gespräch insbesondere "Clone Wars"-Schöpfer Dave Filoni ihre Referenz erweist. Insgesamt muss die in unserem Interview selbstbewusst-locker und sehr sympathisch auftretende Showrunnerin einen ziemlichen Spagat hinbekommen, mit dem sie Neueinsteiger nicht überfordert, gleichzeitig allerdings genug Anreize für alte "Star Wars"-Hasen bieten und nebenbei sehr unterschiedliche Genres und mediale Ausdrucksformen unter einen Hut bekommen. Wir fühlten uns nach den ersten vier Folgen jedenfalls ausgesprochen gut unterhalten. Welchen Stellenwert "The Acolyte" innerhalb all der anderen Filme und Serien einmal einnehmen wird, muss die Zeit zeigen. Das ist bei "Star Wars" ja ganz ähnlich wie bei einem guten Wein.