Elex II - Test / Review

RPG-Intensität mit Ecken und Kanten

Test Video Benjamin Braun getestet auf Xbox Series X/S

Schöne Welt, starke Atmosphäre

Die grösste Stärke von "ELEX II" aber besteht neben dem starken und vielfältigen Questdesign sowie der tollen Verzahnung der Aufgaben in der Atmosphäre, die von unzähligen Faktoren getragen wird. Der Grossteil der Charaktere verfügt über einen ausgeprägten individuellen Tagesablauf, obgleich die Piranhas aufgrund der Dimensionen im Vergleich mit "Gothic" oder "Risen" diesbezüglich nicht mehr jeden einzelnen NPC so individuell umherwandern lassen wie in ihren früheren Werken. Dafür allerdings bleibt es dabei, dass fast alles innerhalb der Städte jemanden gehört und die Bewohner es nicht akzeptieren, wenn sie uns beim Betreten ihrer Bude beobachten, oder sogar Gewalt anwenden, wenn wir es wagen, vor ihren Augen zu klauen. Diese Mühe scheute sogar CD Projekt in sämtlichen Teilen von "The Witcher" oder zuletzt in "Cyberpunk".

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Einiges dazugelernt haben die Essener zudem bei der Inszenierung. Nachdem wir eine Mine in der Nähe des Forts der Berserker wieder zugänglich gemacht haben, können wir den Vor- und die anderen Bergarbeiter bei ihrem Abmarsch und der letzten Teambesprechung vor dem Aufbruch beobachten. Immer wieder gibt es ähnliche Situationen, wenn wir eine vermisste Person ins Lager zurückbringen und sie ihrem Vorgesetzten von unserer Hilfe berichtet. Auch die automatischen Dialoge mit NPCs, mit denen wir gemeinsam auf die Jagd gehen oder die von uns Geleitschutz erhalten, tragen erheblich zur Atmosphäre bei. Ähnliches gab es zwar bereits in früheren Spielen der Piranhas, aber noch nicht in dieser Qualität und in diesem Ausmass. Die Dialoge selbst sind stellenweise zwar ein wenig zu ausführlich geraten, wirken aber wie üblich meist deutlich lebensechter und nicht so gestelzt wie in vielen anderen Rollenspielen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, leisten auch die deutschen Sprecher einen erstklassigen Job.

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Ein weiterer Star ist die Spielwelt selbst, in der es überall etwas zu entdecken gibt und in der trotz der Grösse des Schauplatzes vergleichsweise selten identische Assets aus dem Baukasten zum Einsatz kommen. (Oder die Entwickler verstehen sich einfach prächtig darin, es zu kaschieren.) Bemerkenswert finden wir einmal mehr auch die Architektur, durch die die Welt noch grösser wirkt, als sie es tatsächlich ist. Bei der freien Erkundung wundern wir uns öfter, dass wir über einen scheinbar völlig neuen Pfad an einen bereits zuvor besuchten Ort gelangen. Wir finden die Welt zudem visuell wirklich schön, obgleich in unserer Version auf Xbox Series X bei genauerem Hinsehen immer wieder aufpoppende Details oder erst in geringer Entfernung Lichteffekte aktiviert werden. Das tut der Atmosphäre allerdings keinen Abbruch und ändert auch nichts daran, dass die Piranhas insgesamt technisch noch einmal deutlich zulegen. Ja, insbesondere die Charaktermodelle und -Animationen wirken teils deutlich angestaubt. Aber nur, weil andere, mit wesentlich mehr Budget ausgestattete und erheblich grössere Teams (Piranha Bytes beschäftigt offiziell nur knapp mehr als 30 Entwickler) es besser machen, ist das Ergebnis keineswegs schlecht. Positiv überrascht hat uns beispielsweise, wie gut die Technologie für die Lippen- oder besser gesagt Mundbewegungen funktioniert. Es wäre übertrieben zu sagen, man könne die Dialoge daran ablesen, aber die Münder öffnen und schliessen sich genau dann, wenn sie es müssen. Allgemein finden wir stark, wie viel die Piranhas aus der noch einmal aufgebohrten, bereits in "Gothic 3" eingesetzten Genome-Engine wenigstens auf der aktuellen Konsolengeneration herausholten.

Fazit

Ihr Können als Entwickler höchst atmosphärischer Rollenspiele haben die Piranhas in den vergangenen mehr als 20 Jahren vielfach unter Beweis gestellt. Nicht immer konnten die Werke der Essener in jedem Aspekt begeistern, leisteten sich gar in Teilbereichen manchmal gravierende Schwächen. Doch kaum ein anderes Studio bewies, dass ein Spiel immer weit mehr ist als die Summe seiner Einzelteile - so auch mit "ELEX II". Denn herumkritteln am hakeligen Kampfsystem oder auch an der Qualität von Charakter-Animationen könnten wir viel. Doch Schwächen in diesen Bereichen erblassen gegenüber dem hervorragenden, abwechslungsreichen Questdesign, dessen Aufgaben so clever miteinander verzahnt sind, gegenüber den glaubwürdigen NPCs und angenehm lebensechten, kernigen Dialogen. Aber auch gegenüber der technisch vielleicht nicht beeindruckenden, aber wunderschönen, mit einer insgesamt genialen Architektur ausstaffierten Welt, die zur Erkundung einlädt. Tatsächlich holt uns diesmal auch das Setting deutlich besser ab als im ersten Teil, die Spielbalance ist abseits kleinerer Mankos ebenfalls besser gelungen. Neben kleineren Komfortmängeln und besonders wegen des funktionierenden, jedoch schwachen Kampfsystems bleiben "ELEX II" zwar höchste Wertungsweihen verschlossen. Fans der Piranha-Bytes-Rollenspiele können jedoch getrost noch locker fünf Punkte auf unsere Wertung draufschlagen.

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