Die GAMES.CH-Kolumne #06-2020: The Last of Us Part II

The Last of Us Part II ist kein Meisterwerk, sondern eine verpasste Chance

Kolumne Video Michael

Morde über Morde

Die Entwickler von Naughty Dog meditierten in dem Postapokalypse-Werk über grosse und kleine Themen wie Vaterschaft, Verlust, Aufopferung, Verzweiflung, die Fragilität von Zivilisationen und Beziehungen. Und all das, ohne es den Spielern dick unter die Nase zu reiben. Selbst wenn Vergleiche von "The Last of Us" mit grossen Leinwand-Ikonen wie "Citizen Kane" totaler Unfug sind, zeigen doch, wie sehr das Game über seine Genrekollegen hinausragte. "The Last of Us" war nicht perfekt, aber sehr, sehr gut. Und abseits der kleinen Erweiterung "Left Behind" bedurfte es eigentlich keines weiteren Exkurses. Es war ein Einzelwerk, das für sich stand. Ebenso wie die Charaktere, die Welt und ihre Errungenschaften, die darin etabliert worden waren. "The Last of Us" schrie nicht danach, weiter ausgeweidet zu werden, nur um an den Erfolg anzuschliessen. Aber nun kam es eben trotzdem dazu – mit "The Last of Us Part II".

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Dessen Geschichte setzt - wie in unserem Test zu lesen - eine ganze Weile nach dem Original an. Joel und Ellie haben eine gewisse Ruhe und Einkehr gefunden. Aber dann kommt es zu einem Wendepunkt, als - Achtung, Spoiler! - Joel getötet wird. Ellie schwört Rache und begibt sich auf einen Kreuzzug und die Suche nach denjenigen, die dafür verantwortlich sind - insbesondere Abby, die Joel mit einem Golfschläger den Kopf zertrümmerte. Tatsächlich ist "The Last of Us Part II" eine Rache-Geschichte, ein Revenge Thriller, der laut Naughty-Dog-Kreativchef Neil Druckmann ein "Kommentar auf den Kreislauf der Gewalt" sein und "philosophische Fragen" stellen soll.

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Wer das Genre kennt, sieht auch, wie die Macher versuchten, "Wer Gewalt sät", "Beim Sterben ist jeder der Erste", "Lady Vengeance", "Irreversibel" und andere Klassiker zu kanalisieren - und dabei stolperten und fielen. Es finden sich zahlreiche Momente, die einem als Cineast bekannt vorkommen und Gedanke wie "Das kenn' ich irgendwoher!" auslösen. Aber wo bei den filmischen Vorbildern am Ende oft Ketten von Ereignissen aufgelöst, Verzahnungen und Überlappungen von Szenen klar, Entscheidungen verständlich werden und eine zentrale Erkenntnis oder grosse Frage aufgebracht wird, bleibt bei "The Last of Us Part II" lediglich eine zynische Moralfloskel, die vom Game selbst auch noch konterkariert wird.

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