Die GAMES.CH-Kolumne #06-2020: The Last of Us Part II

The Last of Us Part II ist kein Meisterwerk, sondern eine verpasste Chance

Kolumne Video Michael

Ellie ist nur eine Mörderin, nicht mehr

Eiskalt, brutal und unbarmherzig ist Ellie auf ihrer Mission. Der Spieler schleicht als das heranwachsende Mädchen herum, schlitzt Kehlen auf, schiesst in Köpfe, Beine, Oberkörper. Er unterstützt Ellie dabei, Horden von Menschen zu töten, und schaut dabei zu, wie die Protagonistin droht und foltert. Düster, dreckig und schmerzhaft wird über "The Last of Us Part II" hinweg Gewalt inszeniert, dass es manchmal fast schon an Voyeurismus grenzt. Gleich einem Autounfall ist man versucht wegzuschauen, blickt aber dennoch hin. Das Game von Naughty Dog versucht Gewalt auf eine Weise zu inszenieren, die sie abschreckend und abstossend erscheinen lassen soll. Gleichzeitig macht es die Gewalt aber auch zum einzigen Mittel und zentralen Spielelement, das Ellie und den Spieler ihrem Ziel immer näher bringen soll: Abby zur Rechenschaft zu ziehen.

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Aber: Auch als Abby ist der Spieler ab etwa der Hälfte des Games unterwegs. Er erlebt einen Perspektivwechsel, erkennt und erfährt nun die Welt derjenigen, die Joel auf dem Gewissen haben. Und auch, warum das überhaupt geschehen ist. Spoiler: Abby ist die Tochter des leitenden Arztes, den Joel am Ende des Originals getötet hat, um Ellie zu retten. Verständlich und auch ganz menschlich soll ihr Tun dadurch werden. Dass Ellie dann - nach immerhin 25 Stunden an Spielzeit -, wenn sie Abby gegenübersteht, erst zögert, dann kämpft und letztlich doch von ihr ablässt: Das soll dadurch einer Erlösung gleichkommen und das Ende der Gewaltspirale markieren.

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"Ellie ist besser als Abby. Sie ist nicht böse, denn sie verzichtet auf ihre Rache und den Mord", scheint Naughty Dog sagen zu wollen. Doch im Angesicht des amokartigen Rachefeldzugs, der unzähligen Toten, die Ellie zurücklässt, wirkt das nicht nur zynisch, sondern geradezu dumpf und ignorant. Es spricht all jenen anderen Menschen, die sterben mussten, damit es zu diesem Moment kommt, einen geringeren Wert zu, als Abby. Es degradiert sie zu billigen Kollateralschäden einer vermeintlichen Wachstums- und Lerngeschichte über Moral, Ethik und Mord. Es macht den Kampf, den Ellie und der Spieler führten, wert- und sinnlos und zu einer Tortur, die es einfach nicht gebraucht hätte. Darin steckt auch keine philosophische Frage. Und die Moral, die aus "The Last of Us Part II" herauslesbar ist, ist lediglich: "Das Umbringen eines Menschen ist schlecht, und Rache bringt nichts." Das war es schon!

Das ist an sich auch kein Beinbruch. Und es ehrt das Team von Naughty Dog, dass es versuchte, das Thema aufgreifen. Doch so platt, wie das geschieht, so unreflektiert ist das eine herbe Enttäuschung. Denn der Hersteller lässt dem Spieler auch keine Wahl aus der eigenen Erkenntnis - schliesslich wird sie einem mit jedem "Kill" wie eine Bratpfanne ins Gesicht geschlagen – irgendeine Handlung abzuleiten, ausser jener, nicht weiterzuspielen. "The Last of Us Part II" zwingt den Spieler fortwährend, weiter zu töten, ansonsten kommt er nicht voran. Wer nicht töten will, kann anders als in "Fallout 3", "Deus Ex: Mankind Divided" oder "Metal Gear Solid 4" nicht versuchen, den Gegnern aus dem Weg zu gehen. Stellenweise lässt sich ein Konflikt vielleicht vermeiden. Aber der nächste Mord ist garantiert. Naughty Dog, so scheint es, sind die Aussage des eigenen Games und die Erkenntnis des Spielers nichts wert.

Dazu kommt, dass der Entwickler das Erbe des Originals verrät. Ellie wuchs in "The Last of Us" zu einer echten Person heran, die sich selbst und das Leben anderer zu schätzen lernte. Umso unverständlicher wirkt ihre Degradierung zu einem Racheengel, der Entscheidung über Entscheidung trifft, die zweifeln lässt, dass es sich überhaupt um den gleichen Menschen wie zuvor handelt. Ellie kennt plötzlich weder Moral noch Mitgefühl. Tatsächlich ist sie am Ende lediglich eine Mörderin - eine wahrscheinlich sogar hemmungslosere als jene Person, die sie jagte. Vielleicht liegt darin eine Logik. Aber wenn, dann wird sie nicht nachvollziehbar und spürbar gemacht.

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Sowieso agieren zahlreiche Charaktere bizarr, unrealistisch und einfach nicht menschlich. Ganz anders als im Original. Nahezu jeder in "The Last of Us Part II" ist ein irrationaler Unsympath. Vielschichtige Persönlichkeiten oder Menschen, die sowohl gute als auch schlechte Seiten zeigen? Die gibt es kaum. Das wäre nicht schlimm, keine Anmerkung und keine grosse Kritik wert, wenn "The Last of Us Part II" nicht ein Videospiel wäre, das sich so sehr über seine "starke Geschichte", seine "glaubhaften Charaktere" und die "realistische Welt" definieren lassen will.

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