Frostpunk 2 - Test / Review

Eine ungemütliche Reise zurück ins eisige Ödland

Test Video Steffen Haubner getestet auf PC

"Wimmelfaktor" und "Aquariumeffekt" sind Begriffe, die man üblicherweise im Zusammenhang mit Aufbauspielen und Wirtschaftssimulationen liest. Davon kann bei "Frostpunk" kaum die Rede sein, die Hoffnung auf die berühmten "blühenden Landschaften" sollte man sich gleich abschminken. Der an "Steampunk" angelehnte Name lässt es schon erahnen: Das Game versetzt uns in ein fiktives 19. Jahrhundert, in dem nicht die Erderwärmung das Problem ist. Stattdessen ist eine neue Eiszeit angebrochen, angesichts derer sich die Menschheit in Enklaven im ewigen Eis zurückziehen muss. Klar, dass es auf dem begrenzten Raum bald zu sozialen Konflikten, Kriminalität und Seuchen kommt. Aber vor allem die verdammte Kälte setzt der Bevölkerung zu und sorgt durchgängig für schlechte Laune. Eure Aufgabe ist es, dem entgegenzuwirken, denn sonst sind eure Tage schnell gezählt. Ja, es ist ein ungemütlicher Job, aber einer muss ihn ja machen! Das Zentrum jeder Ansiedlung ist ein Generator, der in Gang gehalten werden muss, damit die Lichter und vor allem die Öfen nicht ausgehen. Dazu, wie auch zur Versorgung der Einwohner, sind allerlei Ressourcen notwendig. Unter Schnee und Eis finden sich ausserhalb der Stadt auch manch hilfreiche Hinterlassenschaften der untergegangenen Zivilisation.

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Die Ordnungswahrer gehören zu den eher regierungstreuen Fraktionen - sofern ihr sie nicht verärgert

Das erste "Frostpunk" der polnischen 11 bit studios war 2018 ein Überraschungshit, der sich seither eine treue Fangemeinde erobert hat. Es gibt zahlreiche Foren, Communitys, Wikis und Mods, die auch im am 20. September erscheinenden zweiten Teil nicht nur zugelassen, sondern mit einem eigens mitgelieferten Mod-Editor explizit gefördert werden - das nennt man Fan-Service! An der Lage der Menschen hat sich auch in "Frostpunk 2" nichts Wesentliches geändert: Es fehlt praktisch an allem, aber vor allem ist es arschkalt. Drei Jahrzehnte liegen die Ereignisse von Teil 1 zurück, wir schreiben also das Jahr 1916. Der alte Captain lebt nicht mehr, und es liegt auf der Hand, wer nun in seine übergrossen Schuhe schlüpfen darf. Bei unseren ersten politischen Gehversuchen werden wir argwöhnisch beäugt von den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, den fortschrittsgläubigen Neu-Londonern, den konservativen Ordnungswahrern und den widerspenstigen Frostländern. Zu ihnen kommen im Laufe des Spiels weitere Fraktionen mit bestimmten Ansprüchen hinzu, die sich eigenen gesellschaftlichen und politischen Zielen verschrieben haben. Fast unnötig zu sagen, dass sie nicht immer leicht miteinander zu vereinbaren sind.

Der Captain ist tot. Es lebe der Captain!

Allen, die Teil 1 nicht gespielt haben, sei gleich zu Anfang gesagt: "Frostpunk" ist alles andere als ein Cozy Game, was sich nicht im düsteren Szenario, sondern auch im teilweise beinharten Gameplay niederschlägt. Neben Ressourcen, verfügbarer Wärme und unzähligen anderen Faktoren muss man insbesondere die Stimmung in der Bevölkerung im Auge behalten und die Ursachen für jederzeit virulente Unruhen wirksam bekämpfen. Doch wie das so ist in der Politik: Die vermeintlich segensreichen Massnahmen sind häufig Ursachen für neue Probleme. Immer wieder sind moralische Entscheidungen zu treffen - wer sich scheut, auch mal Opfer zu bringen, steht schnell vor dem Aus. Wer dagegen mit allzu harter Hand regiert, läuft Gefahr, von den eigenen Leuten vor die Tür gesetzt zu werden, was man bei zweistelligen Minusgraden nicht sehr lange überlebt. Klar kann man eine Karriere als Diktator anstreben, dessen Urteile nicht mehr infrage gestellt werden. Doch der Weg dahin ist steinig, sodass man sich vielleicht doch besser den politischen Kompromiss und Mehrheiten im Stadtrat sucht.

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Unsere Stadt nimmt allmählich Gestalt an - und frisst naturgemäss immer mehr Ressourcen

So ruht das gesamte Spiel auf drei wesentlichen Säulen: Aufbau, Verwaltung und Erkundung. Für alles, was man baut, muss man erst mal das Eis brechen und auf der freigewordenen Fläche Stadtbezirke errichten. Diese dienen verschiedenen Zwecken wie etwa Wohnraum, Ressourcenförderung oder Nahrungsmittelherstellung. Sie lassen sich erweitern und mit Spezialgebäuden bestücken, die für bestimmte Boni sorgen. Bei all dem muss man aber immer im Auge behalten, dass die Ressourcen und ganz besonders Wärme rar sind und eine länger anhaltende Misswirtschaft schnell zu einem "Point of no Return" führt, der automatisch das Ende der Zivilisation bedeutet. Die Verwaltung besteht insbesondere darin, den Fortschritt voranzutreiben und Ideen zu realisieren, wie man das etwa vom Fortschrittsbaum in "Civilization" kennt. Das Erlassen von Gesetzen ist wie erwähnt in einen politischen Meinungsbildungsprozess eingebettet. Man kann also nicht einfach verfügen, was einem richtig scheint, sondern muss versuchen, die Fraktionen im Stadtrat von der eigenen Sicht der Dinge zu überzeugen. Und schliesslich schickt man immer wieder Expeditionen ins Umland, um dort neue Ressourcen, im Eis verborgene Schätze oder mal mehr, mal weniger freundlich gesonnene Überlebende ausfindig zu machen. Auch hier gilt es wieder, die richtigen Entscheidungen zu treffen, denn sonst stellt sich manch ein Fund alsbald als zusätzliche Belastung heraus.

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Wir starten unsere erste Expedition in der Hoffnung auf neue Energiequellen

Startet man nach einer kurzen, aber sehr hilfreichen Einführung in den Story-Modus, werden die Unterschiede zu Teil 1 sofort augenfällig: alles ist grösser, komplexer, imposanter geworden. Neu-London ist bereits zu Beginn kein kleiner Aussenposten, sondern ein ziemlicher Moloch, dessen Steuerung wir sozusagen in voller Fahrt übernehmen müssen. Neu ist auch das erwähnte Konzept mit den erweiterbaren Stadtteilen, in denen wir Spezialgebäude wie Rathaus oder Forschungsinstitut errichten müssen. Diese Gebäude bringen nicht immer nur Vorteile mit sich, sondern können beispielsweise auch Umweltbelastungen darstellen und sogar zu einer Gefahr für die Bevölkerung werden. All das wird im Stadtrat diskutiert. Die dort beschlossenen Gesetze und Projekte bestimmen, wo die Reise hingeht. Auch ohne Aussenbeziehungen ist unsere Stadt nicht überlebensfähig. Deshalb müssen wir früher oder später Kolonien gründen, um aus den Weiten des Frostlands dringend benötigte Ressourcen zu importieren. Gibt es dort draussen vielleicht eine Alternative für die mit vielen Nachteilen verbundene Kohle?

Anspielungen auf reale Zusammenhänge und Parallelen zur aktuellen Lage der Menschheit sind natürlich durchaus beabsichtigt und machen einen nicht unerheblichen Teil des Reizes von "Frostpunk 2" aus. Das bedrückende Szenario sorgt dafür, dass man sich eigentlich permanent bedroht und unter Druck fühlt. Belohnt wird man nicht durch eine beschauliche, vor sich hinwimmelnde Miniaturwelt, sondern vom imposanten Anblick der ständig weiterwachsenden Stadt: Das Szenario ist geprägt von sich in die Polarnacht bohrenden Scheinwerfern, von Fahrzeugen beleuchteten Strassen und mächtigen Maschinen, die stoisch ihrer Arbeit nachgehen. Überall blinkt, qualmt und glüht es, während der Generator in der Mitte das Herz des ganzen Gebildes ist, dessen Rhythmus sich alles andere unterordnet. Ästhetisch wie auch inhaltlich kommen hier einige Einflüsse zusammen, angefangen von "Metropolis" aus dem Jahr 1927 über moderne Klassiker wie "Blade Runner" oder "Das fünfte Element" bis hin zu aktuelleren Produktionen wie "The Colony" von 2013.

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