Der Herr der Ringe: Gollum - Test / Review

Ein ambitionierter, letztlich zwiespältiger Ausflug in Mordors Kerker und darüber hinaus

Test Video Steffen Haubner getestet auf PC

Mein Leben als Orksklave

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Im Verlauf der Handlung kommt es zu einigen spannenden Begegnungen

Genau hier setzt das Deadalic-Spiel an. Der inzwischen bei den Elben gelandete Gollum alias Sméagol erzählt im Rückblick von seiner leidvollen Zeit als Orksklave in den finsteren Verliesen von Mordor. Auf einen direkten Schlagabtausch mit seinen Peinigern kann es die nach jahrelangem Höhlendasein verhärmte Kreatur nicht ankommen lassen, stattdessen setzt sie auf Ablenkungs- und Schleichmanöver. Entgegen kommt Gollum dabei der vertikale Aufbau der Spielwelt, die er als guter Kletterer optimal nutzen kann. Das funktioniert mal besser, mal schlechter - man merkt, dass die Entwickler mitunter Mühe hatten, die Hauptfigur in die Umgebung einzufügen. Das liegt unter anderem an der sehr individuellen Perspektive Gollums, der die meiste Zeit auf allen Vieren unterwegs ist. Mit weiten Sprüngen und Wallruns erreicht er sonst unzugängliche Stellen, hangelt sich blitzschnell an Ranken nach oben oder springt rückwärts an die nächste Kante. Das erinnert etwas an die "Uncharted"-Mechaniken, ohne allerdings deren Perfektion zu erreichen. So taucht die Ausdauerleiste, die Gollum an Orten mit mangelndem Halt unter Zeitdruck setzt, immer wieder unvermittelt auf - leider oft auch da, wo sie gar keinen Sinn ergibt. Auch hier muss man ein hartes Urteil fällen: Die Spielmechanik wirkt hoffnungslos veraltet und funktioniert dabei noch nicht einmal immer richtig. An einigen Stellen hakelt es beim Springen, Abstossen und Greifen, oder die Kamera kann dem Geschehen nur mit Mühe folgen. Wir können hier nur auf das Wort der Daedalic-Mitarbeiter vertrauen und auf den Patch zum Release warten.

Zudem ist das gesamte Abenteuer sehr linear angelegt. Es gibt keinerlei Weiterentwicklung von Gollums Fähigkeiten und wenig Möglichkeiten, die anstehenden Aufgaben wie das Suchen von Gegenständen oder unter der Knute der Orks zu verrichtende Sklavenjobs zu meistern. Meist versucht unser Held, seinen Peinigern zu entkommen und zu verhindern, Sauron Auskunft über den Verbleib des Rings geben zu müssen. Daher kommt es immer wieder zu Stealth-Passagen. Die Häscher erweisen sich dabei als recht aufmerksam, sehen aber offenbar nicht allzu gut. Na ja, es ist ja auch meist dunkel. Es hat allerdings, selbst in aktuellen Toptiteln, schon weitaus unterbelichtetere Wächter gegeben, das Katz-und-Maus-Spiel sorgt durchaus für Unterhaltung. Wird Gollum bei seinen Ausflügen, bei denen er auch mal schwimmen muss, erwischt, heisst es "Game Over", da er seinen Gegnern kämpferisch nichts entgegenzusetzen hat.

Fazit: Held wie Rezensent sind zwiegespalten

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Sympathischer Held oder hinterhältige Zecke? Wie man es auch betrachtet: Diesen Augen kann man kaum widerstehen

Über das Charakterdesign von Gollum kann man durchaus geteilter Meinung sein. Mir persönlich ist der kleine, fiese Kerl schnell ans Herz gewachsen. Das liegt nicht zuletzt an der grossartigen Sprechstimme, die die inneren Monologe ausgezeichnet wiedergibt. Gollums Auseinandersetzungen mit seinen beiden Egos sind wunderbar eingebunden und laden zum Experimentieren ein. Ob man als hinterlistiger Gollum antwortet oder als skrupulöser Sméagol, wirkt sich in bestimmten Grenzen tatsächlich auf das Geschehen aus und illustriert die beiden Persönlichkeiten der Hauptfigur. Mit der Zeit lernt man Gollum immer besser kennen und beginnt, die Beweggründe seines Handelns nachzuvollziehen. Fast ist es, als wäre man selbst auf der Suche nach seinem "Schaaatz" und verschmelze mit dem unglückseligen Wesen. Im Zusammenspiel mit den erzählerischen Einfällen der Daedalic-Autoren und einigen wirklich sehenswerten Einblicken in die "Herr der Ringe"-Welt, die es so bisher noch nicht gegeben hat, motiviert das durchaus zum Weiterspielen. Wem das nachvollziehbar insgesamt zu wenig Spiel ist oder wer blitzsauber umgesetzte, zeitgemässe Spielmechaniken erwartet, sollte auf den Ausflug in Gollums Schattenreich allerdings besser verzichten.

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