"Horizon Zero Dawn" ist aus vielen Gründen ein grossartiges Spiel. Nach unzähligen Spielstunden ist der Autor hin und weg und immer wieder nicht nur vom Spiel, sondern auch von Aloy selbst beeindruckt. Die Gründe dafür werden hier genauso ausführlich beleuchtet wie die Frage, warum Aloys Persönlichkeit für uns als Spieler so wichtig ist. Eine kleine Spoiler-Warnung sei aber ausgesprochen, sie betrifft jedoch nur den ersten Teil des Games bis kurz nach der "Erprobung".
Aller Anfang ist klein
Grashalme. Die vertraute Stimme eines Mannes. Vor uns ein Wesen aus Motoren, Kabeln und Schläuchen - viel grösser als wir selbst, vor allem aber viel grösser als der kleine Bogen in unserer Hand. Dann die Aufforderung, zu schiessen. So führt uns das Early Game, also der frühe Abschnitt eines Spielverlaufs, von "Horizon Zero Dawn" in die Kampfmechanik ein: Jede Maschine hat Schwachstellen, ansonsten ist sie dick gepanzert. Das Wesen vor uns, ein Läufer ("Strider" in der englischen Sprache) hat sogar als Schwachstelle einen Kanister, gefüllt mit entflammbarer Flüssigkeit. Es folgt, was uns wie im Spiel wie eine Selbstverständlichkeit erscheint: Wir nehmen einen Pfeil, zielen und schiessen. Punkt. Doch warum fühlt es sich so normal an? Sicher: Als Spieler sind wir es gewohnt, alle möglichen Kampfmechaniken sofort anzuwenden.
Dennoch: Wer da geschossen hat, ist ein kleines Kind. In dem Alter bestand meine technische Fertigkeit maximal darin, die Knöpfe auf dem Game Boy in der richtigen Reihenfolge zu drücken - ganz zu schweigen von meinem Mut, der spätestens beim Bodenturnen sein Ende fand. So hätte ich vermutlich - vor Aufregung zitternd - gar nicht erst schiessen können. Und das ist durchaus begründet: Meine nervösen Finger hätten den Pfeil entweder weg vom Läufer gelenkt oder eine der metallenen Platten getroffen, die auch spielmechanisch zu realistisch kaum vorhandenen Schadenswerten führen. Doch hier sitze nicht ich als ich im Gras, sondern als kleine Aloy. Und Aloy schiesst nicht nur, sie trifft sogar.
Herausforderung angenommen - Aloys Mut und ihr Vertrauen in ihre Fähigkeiten
"Horizon Zero Dawn" war der Grund, mir nach langer Zeit einen Gaming-PC zu holen, und es hat sich gelohnt. Es gehört für mich zu den schönsten Spielen, und als ein der Generation "Gothic" angehöriger Spieler beanspruche ich einfach mal, bezüglich der Standards von Geburt an im positiven Sinne verdorben zu sein. Warum "Horizon" so schön ist, ist in allerlei Tests und Kommentaren nachzulesen. Hier soll es aber um einen ganz bestimmten Punkt gehen: Aloys Persönlichkeit und warum sie so wichtig ist - für die Geschichte, das Spiel und uns Spieler selbst.
Kommen wir also zurück zu der Szene im Gras. Hier zeigt sich die erste Eigenschaft, die Aloy für mich zu einem wunderbaren Charakter macht: ihr Mut. Dieser macht es möglich, aus einer schwachen Position im Spiel aktiv und ohne Authentizitätsverlust die handelnde Position einzunehmen: Als Kind schiessen wir auf den vergleichsweise grossen Läufer. Diese für Aloy nachteilige Grössendimension bleibt auch nach dem Prolog und Aloys Heranreifen zur jungen Erwachsenen erhalten, je nach Maschine wird sie sogar noch extremer.
Als wir uns im ersten Teil der Geschichte für die Aufnahmeprüfung des Stammes der Nora qualifizieren wollen, werden wir vor die Tore des Startgebiets geschickt. Nacht herrscht vor, nur das Mondlicht erhellt die Umgebung. Die Bäume schimmern grün, Glühwürmchen erheben sich über den Gräsern. Wir schleichen mit unserem Ziehvater Rost zu einem zerstörten Dorf. Die aufsteigenden Flammen erzeugen ein beunruhigendes Gefühl. Durchaus begründet: Im Dunkeln entdecken wir eine riesige Säbelzahntiger-artige Kreatur, die zwischen den Häusern schleicht. Aloy staunt über ihre Grösse und fragt, wie man sie bekämpfen kann. Die Frage lässt unser Begleiter Rost jedoch bewusst unbeantwortet, weiter begleitet er Aloy nicht: Es ist ihre Prüfung, ihre Jagd.
Statt umzukehren, stellt sich Aloy der Herausforderung. Diese Charaktereigenschaft zieht sich konsequent durch die Geschichte - und sie fügt sich perfekt in das Gameplay ein. Denn Aloy, das sind wir. Und dass es sich nicht komisch anfühlt, sondern selbstverständlich, sich immer wieder in den Kampf mit Maschinen zu werfen, liegt an Aloys Mut. Sie weiss sich selbst und ihren Fähigkeiten zu vertrauen und stellt sich auch neuen Situationen mit unbekannten Parametern. So bringen unser Pfeile nicht nur den Läufer im Prolog, sondern auch den Sägezahn zu Fall.
Ein weiteres Beispiel sind die Parkour-artigen Passagen, die immer wieder vorkommen. Wir hangeln uns verfallene Gebäude hoch, balancieren auf Seilen, springen über Abgründe. Aloy stellt sich diesen Herausforderungen, ohne Schnappatmung zu bekommen. Besonders eindrücklich zeigt sich das neben dem allgemeinen Gameplay auch in einer Zwischensequenz während der Aufnahmeprüfung für den Stamm der Nora, der sogenannten "Erprobung". Nachdem ihr unfairerweise eine zu erbeutende Trophäe aus den Händen geschossen wird, gerät sie zeitlich ins Hintertreffen. Die einzige Chance besteht in einem alternativen, jedoch verfallenen Pfad: mehrere bearbeitete Baumstämme ragen aus einer Schlucht. Aloy wagt es - und schafft es knapp. So trägt ihr Charakter nicht nur das Gameplay, sondern auch das Fortlaufen der Geschichte.