Pentiment - Test / Review

Mehr Buch als Spiel

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Fans von Rollenspielen kommen um den Namen Obsidian Entertainment fast nicht herum. Von ehemaligen Entwicklern von "Fallout 2" und "Baldur's Gate" gegründet, machte sich das Studio mit einigen interessanten Projekten schnell einen Namen. Frühere Titel wie "Star Wars: Knights of the Old Republic II: The Sith Lords" und "Alpha Protocol" hatten viel Potenzial und gute Ideen, aber mindestens genauso viele Fehler und Schwächen. Der grosse Durchbruch in den Augen vieler Spieler kam dann mit "Fallout: New Vegas", was viele Spieler heute noch zu den besten Rollenspielen aller Zeiten zählen. Seitdem Obsidian Entertainment von Microsoft gekauft wurde, waren sie fleissig mit dem hervorragenden Survival-Game "Grounded" beschäftigt. Offenbar blieb aber neben der Absolvierung der Early-Access-Phase ein wenig Zeit, um zu den seltsamen und experimentellen Wurzeln des Studios zurückzukehren.

Seltsames Kleinod

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"Pentiment" gehört zu den seltsamsten Spielen, die wir dieses Jahr von einem grossen Studio gesehen haben. Als Rollenspiel vermarktet, verbirgt sich hinter einem aussergewöhnlichen Grafikstil eine verflochtene Geschichte rund um ein bayrisches Bauerndorf, das wir mit unseren Entscheidungen beeinflussen. Dabei bezieht sich das Label vom Rollenspiel eher auf die ausgiebigen Dialoge, die oftmals eure Beziehungen zu den verschiedenen Charakteren beeinflussen. Kämpfe, Talentbäume oder Loot sucht ihr hier vergebens. Denn obwohl ihr euch durch das europäische Mittelalter bewegt, seid ihr kein Held oder Ritter, sondern ein simpler Maler. Den Illustrationen aus Büchern des späten Mittelalters ist auch die Grafik des Spiels nachempfunden. Ein interessanter und origineller Ansatz, aber kann "Pentiment" auch über längere Zeit fesseln?

Frommer Künstler oder frecher Lebemann?

"Pentiment" als Rollenspiel zu bezeichnen, ist gewagt. Tatsächlich hat es mehr mit dem Genre der Visual Novels zu tun. Die Entwickler spielen hier bewusst mit der Idee, dass das ganze Spiel ein Buch ist. Das geht weit über den Grafikstil hinaus. Die Menüs werden als Buch und Notizen dargestellt, und Charaktere sind nicht vertont, sondern kommunizieren über Sprechblasen mit verschiedenen Schriften. Bauern und Arbeiter haben beispielsweise häufig Rechtschreibfehler und schwer leserliche Schrift, die sie dann im Gespräch hastig überarbeiten. Der Klerus hingegen hat eine gehobene Sprache und eine entsprechend schnörkelige Schrift.

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Mittendrin ist der Hauptcharakter Andreas Maler, ein junger Illustrator im Skriptorium eines Klosters. Ursprünglich aus Nürnberg, hat er sich auf die Wanderjahre gemacht, um sein Handwerk zu üben, bevor er seinen Meistertitel durch eine Heirat festigt. Auf diese grundlegenden Aspekte habt ihr keinen Einfluss, stattdessen definiert ihr euren Charakter in Gesprächen. Früh im Spiel fragt euch etwa ein Adliger über eure Vergangenheit aus, und ihr wählt nicht nur eine wichtige Station in euren Wanderjahren (wir mussten uns natürlich im Test das erste Mal für die Schweiz entscheiden), sondern auch, was ihr an der Universität studiert habt. Stück für Stück erwerbt ihr so Eigenschaften, die dann neue Dialog-Optionen freischalten. Doch Vorsicht: Nur weil ihr als Jurastudent viele Charaktere über ihre Rechte aufklären könnt, heisst das nicht, dass ihr euch dabei immer beliebt macht. Das Spiel stellt euch laufend vor schwierige Entscheidungen, die oft ungeahnte Konsequenzen mit sich bringen.

Dabei belohnt euch "Pentiment", wenn ihr eurem Herzen folgt. Zu Beginn des Spiels folgten wir unserem Instinkt aus Spielen wie "Persona 5" oder "Mass Effect" und wollten es so gut wie möglich jedem recht machen. Oft wird dadurch die Situation nur noch schlimmer. Lügt ihr Personen an und manipuliert sie, wie es so oft in Rollenspielen gang und gäbe ist, wird euch das später zum Verhängnis. Die Welt dreht sich nicht um euch, und es kann gut sein, dass sich die Leute über euch hinter eurem Rücken austauschen.

Genau das macht den Reiz von "Pentiment" aus. Die Dialoge sind allesamt sehr gut geschrieben, auch wenn es in der deutschen Ausgabe hin und wieder kleinere Patzer bei der Übersetzung gibt. Den Charakteren wird echtes Leben eingehaucht - einerseits durch die stilisierten Charaktermodelle, andererseits durch die Schrift und die Sprache, die sie verwenden.

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