Road 96 - Test / Review

Gemeinsam bis zur Freiheit

Test Video Joel Kogler getestet auf Xbox Series X/S

Es gibt gewisse Spielkonzepte, die sind wohl nur als Indie-Titel wirklich umsetzbar. "Road 96" versetzt euch in die Rolle verschiedener Teenager, die aus einem faschistischen Staat entkommen wollen. Dabei interagiert ihr mit den sieben Hauptdarstellern in einem prozedural generierten Drama, das sich aus unterschiedlichen Einzelszenen wie ein Mosaik zusammensetzt. Man kann sich daher nur schwer vorstellen, dass ein grosser Publisher hier eine Menge Geld in die Hand nimmt, um solch ein experimentelles Konzept auf den Bildschirm zu bringen. Tatsächlich merkt man "Road 96" immer wieder an, dass die Mittel, ähnlich wie bei unseren obdachlosen Protagonisten, oft sehr knapp wurden. Wir haben uns angeschaut, ob es "Road 96" trotz des holprigen Weges zu seinem Ziel schafft oder ob die ambitionierte Geschichte auf dem Weg verloren geht.

Zeit für eine Revolution

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Petria ist ein Staat, der leider vielen Menschen in der aktuellen Zeit bekannt vorkommen sollte. Oberflächlich ist es zwar eine Demokratie, in Wahrheit setzt Präsident Tyrak aber alles daran, an der Macht zu bleiben, und schreckt auch vor Wahlbetrug und Polizeigewalt nicht zurück. Unterstützt wird der Despot von populistischen Staatsmedien wie der "Sonya Show", bei der eine beliebte Moderatorin dem konservativen Teil der Bevölkerung genau das erzählt, was er hören will. Der Diktatur stellt sich aber auch eine Gruppe namens Black Brigades entgegen, deren Mittel oft so brutal sind, dass sie vielleicht zu Recht als Terroristen angesehen werden. Inmitten dieses politischen Chaos schlüpft ihr in die Rolle eines namen- und gesichtslosen Teenagers mit dem einzigen Ziel, die titelgebende Road 96 zu erreichen und dort die Grenze nach Norden zu überqueren. Unterwegs trefft ihr auf eine Auswahl an sieben Hauptfiguren, darunter sowohl Sonya selbst als auch die Rebellen der Black Brigades. Wie ihr mit ihnen interagiert und welche Entscheidungen ihr trefft, hat dabei nicht nur Einfluss auf deren persönliche Geschichte, sondern auch auf das ganze Land. Ihr könnt euch ganz aus der Politik heraushalten und euch darauf konzentrieren, eure eigene Haut zu retten. Alternativ kämpft ihr für freie Wahlen und eine hoffnungsvolle Gegenkandidatin des Despoten. Oder ihr rebelliert gegen das System um jeden Preis, auch wenn das Menschenleben kostet.

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Spielerisch erinnert "Road 96" dabei an viele andere moderne Adventure-Games wie etwa die "Walking Dead"-Titel von Telltale oder das hervorragende "What Remains of Edith Finch". Aus der Ego-Perspektive bewegt ihr euch durch einen kleinen, von der zufällig ausgewählten Szene festgelegten Bereich und interagiert mit Geheimnissen oder redet mit Charakteren. Dabei habt ihr oft die Wahl aus verschiedenen Antwortmöglichkeiten oder Herangehensweisen. Schreitet ihr im Spiel voran, könnt ihr für die Hauptfiguren diverse neue Fähigkeiten freischalten, die ihr auch über verschiedene Spieldurchgänge behaltet. So ist es etwa möglich, eine Tür mit einem Dietrich zu öffnen, die euch sonst versperrt war, oder aber mit einem Hacking-Gerät eine wertvolle Abkürzung zu nutzen. Der Inhalt jeder Szene bleibt dabei aber grösstenteils unverändert. Jede Szene führt die Geschichte einer der sieben Figuren fort und verbindet fast immer Story und Dialog mit einem kleinen Minispiel. Mal müsst ihr bei hoher Geschwindigkeit ein Motorrad auf der Strasse halten, ein andermal spielt ihr Air-Hockey. Das lockert das Spielgeschehen immer wieder auf und kann bei gewissen Figuren durchaus auch nervenaufreibend sein, etwa wenn ihr wie in einem Escape-Room auf begrenzte Zeit aus einem Taxi fliehen müsst, bevor der psychopathische Fahrer zurückkehrt.

Prozedural generiertes Drama

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Diese kurzen Szenen sind fast durchweg gut geschrieben und unterhaltsam, reihen sich aber grösstenteils zufällig aneinander. Es gibt also bis zum Finale jeder Figur keinen wirklichen Fortschritt in ihrer Geschichte. Vielmehr erzählen sie euch andere Facetten aus ihrem Leben, und ihr könnt euch so über die Szenen hinweg ein grosses Gesamtbild zusammensetzen. Das funktioniert aber nur, wenn ihr gut aufpasst und die Szenen einigermassen sinnvoll aneinandergereiht sind. Auch bei unseren beiden Spieldurchgängen gab es immer wieder Kombinationen, die nicht ganz sinnvoll waren - wenn wir etwa einer Figur zur Flucht verhelfen, nur um sie dann sofort danach ganz gemütlich in einer Bar zum Air-Hockey herauszufordern. In der Atmosphäre will sich "Road 96" ebenfalls nicht so ganz festlegen. Die sehr dramatische und ernste Handlung wird immer wieder durch Slapstick-Einlagen aufgebrochen, die zwar durchaus unterhaltsam sind, eine tiefere Aussage des Spiels aber verwässern. Wie ihr vielleicht bei der Beschreibung schon gemerkt habt, ist subtiles Erzählen ohnehin nicht gerade die Stärke von "Road 96". Dazu ist die Rahmenhandlung dann doch zu plakativ in Gut und Böse unterteilt. Hin und wieder gibt es zwar Nuancen, grossteils wirkt "Road 96" jedoch wie ein politisches Drama fürs jüngere Publikum. Die Handlung besteht aus sechs Kapiteln mit je vier bis fünf Szenen. Damit seht ihr aber nur rund die Hälfte der Handlung jedes Charakters und vielleicht ein Drittel aller möglichen Szenen. Ein zweiter oder vielleicht sogar dritter Spieldurchgang lohnt sich also, auch wenn gewisse Szenen dort wiederholt vorkommen.

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