Frisch gestreamt - Special

Neue Serien im März

Artikel Video Steffen Haubner

Ob Zufall oder nicht: Viele aktuelle Produktionen stehen im Zeichen interkultureller Fremdheit und Entfremdung. Europa trifft auf Asien. Diese Konstellation wird diesmal gleich zweimal zum Thema in unserem aktuellen Serien-Special, wenngleich unter völlig anderen Vorzeichen. Vorabfazit: In mehr als 400 Jahren hat sich an der gegenseitigen Fremdheit offenbar nur wenig verändert. Lediglich die Machtverhältnisse scheinen sich bisweilen zu verschieben. Nicht viel anders verhält es sich mit dem strukturellen Rassismus bei der Londoner Polizei, der ebenfalls unausrottbar scheint.

Hooligan in Osaka

Gleich vorweg, damit wir es hinter uns haben: Der Vergleich mit "Game of Thrones" ist natürlich kompletter Unfug. Schon allein der Umstand, dass "Shogun" bis in die Ausgestaltung der Charaktere hinein auf historischen Tatsachen beruht, sollte diesbezügliche Fragen ausreichend beantworten. Literarische Vorlage ist das weltberühmte Monumental-Epos von James Clavell, das schon mal in den 1980er-Jahren mit Richard Chamberlain und Toshirō Mifune in den Hauptrollen umgesetzt wurde. Im Jahr 1600 erreicht die Erasmus, laut Clavell "ein zweihundertsechzig Tonnen grosses, dreimastiges, schwerbewaffnetes Kauffahrteischiff aus Rotterdam", die japanische Küste. Das Besondere daran: Zur damaligen Zeit hatten Portugiesen das Wissen um die Existenz des Inselreichs praktisch exklusiv. Ihre Missionare und Händler errichteten überall Stützpunkte, die den christlichen Glauben nach Japan und - noch viel wichtiger - Profit zurück nach Europa tragen sollten. Die Japaner hatten ihrerseits keine Ahnung, dass dieses "Europa" noch aus anderen Ländern und vor allem Konfessionen bestand.

Kein Wunder also, dass die katholischen Stellvertreter im Fernen Osten mit allen Kräften verhindern wollen, dass die Überlebenden der Erasmus ihren Fuss ins Landesinnere setzen und damit das portugiesische Lügengebilde samt betrügerischem Geschäftsmodell zum Einsturz bringen. Die Japaner dagegen halten die von Hunger und Skorbut aufgeriebene Besatzung für eine Bande von Wilden, von denen man einen gleich mal bei lebendigem Leib in einen Kessel mit kochendem Wasser setzt. Es ist tatsächlich ein bisschen fragwürdig, warum ausgerechnet die erste Folge derart martialisch daherkommen muss - zumal solche Szenen im Gegensatz zur eigentlichen Grundbotschaft von "Shogun" stehen: Dass es nämlich keineswegs der Westen war, der hier irgendjemanden zu zivilisieren hatte. Vielmehr treffen die raffgierigen Europäer auf eine hoch entwickelte Kultur, die in dieser Serie gleichwohl nicht blind glorifiziert, sondern mit ihrem unmenschlichen Standesdenken und ihren rigiden patriarchalischen Hierarchien anschaulich bis drastisch dargestellt wird.

Im Kontrast zu den verfeinerten Sitten, die gerade bei Hofe herrschen, wirkt der von dem Indie-Musiker Cosmo Jarvis dargestellte Brite John Blackthorne tatsächlich wie ein Neandertaler. Der stampft wie ein jugendlicher Hooligan durch die ihm gänzlich fremde Welt und gerät dabei nicht nur mit den in japanischer Leichtbauweise errichteten Behausungen in Konflikt. Vielmehr gerät er mitten in ein fragiles Machtgleichgewicht, das durch den Tod des bisherigen Herrschers Taikō entstanden ist. Kurz vor seinem Ableben verfügte dieser nämlich, dass die Herrschaft auf fünf gleichberechtigte Regenten aufgeteilt werden soll, die seinen Sohn und rechtmässigen Erben bis zu dessen Volljährigkeit vertreten. Einer davon ist Yoshii Toranaga, dargestellt von dem wie immer überragenden Hiroyuki Sanada ("47 Ronin", "Life"), der von "Avengers: Endgame" über "Bullet Train" bis hin zu "John Wick 4" auch in unzähligen kleineren Rollen brilliert. Der charismatische, taktisch brillante, aber vollkommen skrupellose Regent, den die anderen vier Ratsmitglieder allzu gern beseitigen würden, erkennt die Chance, die Blackthorne ihm bietet. Mit seiner Hilfe kann er nicht nur Chaos und Zwietracht in den Rat tragen, sondern auch die Vorherrschaft der portugiesisch-katholischen Händler ins Wanken bringen. Dass er dabei weit grössere Verwicklungen in Gang setzt und im Begriff ist, eine teuflische Verschwörung aufzudecken, ahnt er anfangs selbst nicht.

"Shogun" mag weder "das neue 'Game of Thrones'" sein noch die Komplexität der literarischen Vorlage erreichen: Disney+ ist hier ein ganz grosser, in monumentale Bilder verpackter Wurf gelungen, der es schafft, Geschichte authentisch zu illustrieren und dabei eine Handlung auszubreiten, die selbst dann ungemein fesselnd ist, wenn man die Geschichte bereits kennt. Die Einblicke in die traditionelle japanische Kultur sind so eindrucksvoll, dass man sogar die etwas anstrengende Entscheidung der Macher nachvollziehen kann, den grössten Teil der Serie aus Gründen der Authentizität in japanischer Sprache zu belassen. Das Unverständnis und die zeitweilige Ohnmacht Blackthornes werden damit nur noch anschaulicher - wobei uns im Gegensatz zu diesem sympathisch-unsympathischen Antihelden wenigstens deutsche Untertitel zur Verfügung stehen.

"Shogun", gestreamt auf Disney+

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