Reveil - Test / Review

Drahtseilakt?

Test Video Steffen Haubner getestet auf PlayStation 5

Games und Horrorfilme haben zwei wesentliche Dinge gemeinsam: Sie spielen mit unseren Erwartungen und entführen uns in andere Welten, in denen selten etwas so ist, wie es anfangs scheint. "Reveil" ist ein Musterbeispiel für diese Verbindung, und wie die meisten Horrorfilme wird diese Tatsache das Publikum in zwei Fraktionen spalten: Auf der einen Seite diejenigen, die sich darauf einlassen und Spass daran haben, und auf der anderen Seite die, die sich derbe an der Nase herumgeführt fühlen und entsprechend verärgert reagieren.

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Schon allein deshalb ist es ein echter Drahtseilakt, über dieses Spiel zu schreiben, zumal sich Spoiler jeder Art in diesem Genre natürlich ganz besonders verbieten. Was man aber sicher verraten darf: Der neueste Output des Hamburger Publishers Daedalic, ein Werk des deutschen Studios Pixelsplit Games, ist ein narrativer First-Person-Psychothriller, der im Verlauf des Geschehens so manche Überraschung bereithält.

Drahtseilakt

Apropos Drahtseilakt: Schauplatz von "Reveil" ist ein Zirkus, der ganz offensichtlich schon bessere Tage gesehen hat. Doch zunächst lässt uns das Spiel in Gestalt von Walter Thompson in dessen eigenem Haus erwachen. Das erklärt zumindest ansatzweise auch den Titel, der auf Deutsch so viel wie "Erwachen" bedeutet. Der erste Griff geht zur Pillendose auf seinem Nachttisch - ein erster Hinweis darauf, dass es mit seinem Allgemeinzustand nicht zum Besten steht. Er macht sich auf die Suche nach Frau und Tochter, doch das riesige, verwinkelte und mit allerlei möglichem und unmöglichem Kram vollgestopfte Haus ist verwaist, das Licht funktioniert nicht, und überhaupt mehren sich die unheilvollen Zeichen: morbide Kritzeleien im Tagebuch der Tochter, verschlossene Türen und vieles mehr aus dem Standardrepertoire des Horrorgenres.

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Die Rätsel, die wir gleich zu Beginn zu lösen haben, sind ziemlich repräsentativ für die eher niederschwelligen Herausforderungen, die im restlichen Spiel auf uns warten. Es handelt sich um uns allen wohlbekannte Puzzles, in denen wir Maschinen reparieren und in Gang setzen, fehlende Teile finden und verborgene Mechanismen entschlüsseln müssen. Stellenweise findet sich auch ein kleines Minispiel darunter, wirklich herausfordernd wird es in den knapp fünf Stunden für halbwegs routinierte Gamer aber nie. Das Wort "narrativ" in der obigen Genrebeschreibung ist also durchaus wörtlich zu verstehen: Es geht hier weniger um ein raffiniertes, originelles Gameplay, sondern um die mit interaktiven Elementen versehene Geschichte.

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Und die ist tatsächlich meisterlich in Szene gesetzt. Was wir in der etwas kurzen Zeit erleben, ist ein komplett abgefahrener audiovisueller Trip, bei dem man immer wieder vom Staunen ins Gruseln kommt und gelegentlich in leicht durchgedrehtes Gelächter ausbricht. Natürlich erkunden wir bald den Zirkus, hinter dessen Pforten wahre Abgründe lauern. Ein bisschen ist das Ganze so, als würde man durch eine riesige Geisterbahn laufen, deren billige Effekte man sofort durchschaut, die einem aber trotzdem einige Schauer über den Rücken jagen. Zudem ist der ständig vor sich hin brabbelnde Walter in unterschiedlichen Zeit- und Bewusstseinsebenen unterwegs. Hier werden Horrorfilmklischees gleich in Serie präsentiert, und - auch das ist nichts Ungewöhnliches in diesem Genre - man darf sich selbst aussuchen, ob man sie nun als unvermeidliche Genrestandards, ironische Zitate oder ärgerliche Veralberung des Publikums betrachten will.

Vor allem sieht "Reveil" aber einfach fantastisch aus, die Detailverliebtheit ist beeindruckend, und wer hier einfach nur durchrennt, ist selbst schuld. Hinzu kommt eine sagenhafte Soundkulisse, die man am besten in einem abgedunkelten Zimmer mit Kopfhörern geniesst. Tatsächlich erzeugen beide Elemente zusammen einen frappierenden räumlichen Eindruck, der eine ganz eigene Sogwirkung entfaltet. Es empfiehlt sich zudem, auch auf kleinere Nebengeräusche zu achten, durch die man tatsächlich den einen oder anderen wertvollen Hinweis bekommen kann. Das Gameplay kann hier wie bereits angedeutet nicht wirklich mithalten. Klar, wir haben hier keine AAA-Produktion wie "Alan Wake II" vor uns, sondern ein Indie-Game für knapp 20 Euro. Dafür wird allerdings durchaus etwas geboten.

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Wer mit "The Vanishing of Ethan Carter", "Layers of Fear" oder "What Remains of Edith Finch" etwas anfangen kann, kommt hier jedenfalls auf seine Kosten. Komplexe Rätsel wie in dem unsterblichen Genreklassiker "Myst" darf man jedoch auch nicht erwarten. Wir fühlten uns an das weithin unterschätzte "Bad Mojo" aus dem Jahr 1996 erinnert, das man auf den bekannten Plattformen für eine Handvoll Euro schiessen kann. (Ja, das war eine Empfehlung!) Nur dass die technischen Möglichkeiten sich inzwischen vervielfacht haben, wie "Reveil" zumindest optisch und akustisch recht eindrucksvoll beweist.

Fazit

Letztlich bleibt sich "Reveil" mit seinen vielfältigen Anleihen beim Horrorfilm treu. Es gibt im Spiel tatsächlich ein paar Wendungen, die man nicht kommen sieht, und am Ende wartet eine Auflösung, die manch einen ganz so, wie es der Kultschocker "Hereditary" vorgemacht hat, zufriedenstellen, andere aber direkt auf die nächste Palme schicken wird. Und ebenfalls wie im Horrorfilm ist nach dem Abspann durchaus noch nicht Schluss. Einen netten morbiden Abend kann man mit "Reveil" also auf alle Fälle verbringen, und man darf auf die nächsten Werke von Pixelsplit durchaus gespannt sein.

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