Drachen im Tunnel
Eine Warnung vorab: Dieser Manga ist nichts für Menschen, die an Klaustrophobie leiden. Auf der Rückfahrt von einer Klassenreise entgleist ein Zug - ausgerechnet in einem Tunnel, der für drei Jugendliche zum Gefängnis wird. Teru, Nobuo und Ako sind die einzigen Überlebenden, doch schon bald sind sie sich nicht mehr sicher, ob das wirklich ein Glücksfall ist. Die alles verschluckende Finsternis und eine unerklärliche Hitze machen ihnen zu schaffen, und bald breitet sich durch die vielen Leichen ein unerträglicher Gestank aus. Jeder der drei hat eine ganz eigene Art, mit der Situation umzugehen. Während Teru die Hoffnung nicht aufgibt, doch noch entkommen zu können, scheint Nobuo, der wegen seiner cholerischen Art schon an der Schule ein Aussenseiter war, langsam in den Wahnsinn abzudriften. Und schliesslich wird ihnen allen immer klarer, dass ausserhalb des Tunnels etwas Schreckliches geschehen sein muss.
Mit "Dragon Head" schuf Minetarō Mochizuki bereits Ende der 1990er ein Parabel-haftes Endzeit-Epos, dessen Einfluss auf das Genre nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die Geschichte, die er erzählt, ist eine postmoderne Version von "Herr der Fliegen", in der es weniger um Machtkämpfe innerhalb der Gruppe der Überlebenden geht. Vielmehr erscheinen die Ereignisse, so tragisch sie auch sein mögen, wie eine monströse Fortsetzung der Sprachlosigkeit und Entfremdung, die die Schüler schon zuvor in ihrem Alltag erfahren haben. Mochizukis realistischer Zeichenstil lässt die Atmosphäre der Bedrohung und unterschwelliger sexueller Spannung sowie die immer wieder aufblitzenden surrealistischen Elemente umso drastischer erscheinen. Die Actionsequenzen sind Paradebeispiele dafür, wie man Dramatik und Bewegung durch japanische Soundwords steigern kann - glücklicherweise sind sie auch in der deutschen Fassung erhalten geblieben.
Im deutschsprachigen Raum zunächst in Einzelbänden erschienen und lange Zeit vergriffen, bringt der Carlsen-Verlag das meisterliche Epos nun in fünf wuchtigen Doppelbänden heraus. Und versprochen: Keinen davon legt man freiwillig aus der Hand, bevor man die letzte Seite erreicht hat!
Minetarō Mochizuki: Dragon Head (Carlsen Manga)